
Der Advent gibt uns die Chance, wieder zu uns zu kommen. So viel ist es, das uns wegbringt von uns: die Nachrichten, Sorgen, Ängste, Emotionen, zu viel Stress oder zu wenig Stress. Schon der Winter lädt dazu ein, sich wieder mehr auf das Innere zu konzentrieren. Die frühe Dunkelheit, die Kälte. Wir stecken eine Kerze an. Ja, und auch der Advent ist dafür gemacht, wieder zu uns selbst zu kommen. Wenn wir nicht gerade den typischen Versuchungen verfallen: noch alles bis Weihnachten schaffen zu wollen, jedem und jeder mit den Geschenken gerecht zu werden, oder gar von einer Besinnung zur anderen zu hetzen…
Mönche versuchen adventliche Menschen zu sein. Sie ziehen sich zurück, fünfmal am Tag, und versuchen im Gebet wieder zu sich zu kommen. Sie suchen die Stille, um wieder besser auf das hören zu können, was ihnen ihr Inneres sagt. Es ist ein Bedürfnis jedes Menschen, sich von Zeit zu Zeit wieder zu ordnen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden, den Sinn neu zu suchen, neue Motivation zu finden, für die Arbeit, für die Beziehungen, für das Leben. Der heilige Benedikt, unser Ordensgründer, hat dasselbe getan. Er hat sich drei Jahre lang komplett in eine Höhle zurückgezogen, um ganz allein zu sein. Daher kommt die Idee der Mönche, sich an abgeschiedene Orte zu begeben und eine Klausur einzurichten. Benedikt wollte sich loslösen von allem, was nicht er selbst war. Er wollte „bei sich wohnen“, wie es sein Biograf, der Mönch und Papst Gregor der Große, einmal ausdrückt.
Der Advent lädt uns ein, für eine Weile „in unsere Höhle“ zu gehen und dort „bei uns selbst zu wohnen“, anstatt außer uns zu sein. Dafür braucht es nicht so viel. Denn es ist nicht nur eine mentale Übung. Es ist auch nicht nur eine spirituelle Übung. Der Advent ist ursprünglich eine christliche Erfindung, denn er geht darauf zurück, dass Christus ankommt (adventus). Wir bereiten uns darauf vor, zu feiern, dass Gott in diese Welt gekommen ist. Der christliche Glaube sagt, dass die Menschen so außerhalb ihrer selbst waren, sich so verloren hatten, dass Gott selbst aktiv geworden ist und seinen Sohn in diese Welt gesandt hat, damit der Mensch sich selbst wieder finden kann. So konnte er an ihm, dem Jesus-Kind der Krippe, ablesen, wozu er eigentlich berufen war: ein Kind Gottes zu sein. So konnte er an dem erwachsenen Jesus ablesen, worin der Sinn seines Lebens eigentlich besteht: ein von Gott geliebter Mensch zu sein, der diese Liebe an andere Menschen weitergibt. So konnte der Mensch endlich wieder zu sich kommen, weil Gott zu ihm gekommen ist. So können auch wir heute wieder zu uns kommen.
Mit dem Blick auf Christus braucht es also nicht so sehr eine große asketische Übung – das wäre neuer Stress, der uns von uns entfernt – sondern eher ein neues Bewusstsein. Es braucht eher die liebende Aufmerksamkeit auf Ihn, auf uns selbst, auf unser Inneres, und auf die Menschen um uns herum. Damit wir wahrnehmen, was sie brauchen, was wir selbst brauchen, damit unser Leben sinnvoll ist und es uns wohlergeht. So wie Christus im Dunkel der Nacht geboren wurde, so dürfen auch wir von Zeit zu Zeit in unsere „Höhle“ zurückkehren, um dort neu geboren zu werden und so fit zu werden für die Herausforderungen unserer Zeit.
Abt Mauritius Wilde OSB